20.11.2017

Reise in die Zukunft

Auszug aus Signal+Draht, Ausgabe November 2017

Europaweit steigt die Anzahl der Reisenden im Nah- und Fernverkehr und lässt die Infrastrukturen an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Längst wissen Bahnbetreiber, dass es mit der Umsetzung baulicher Maßnahmen und der Anschaffung von neuem Rollmaterial allein nicht getan ist. Nur die gleichzeitige, weitere Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen kann langfristig die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Dem Schweizer Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) ist auf dem Weg in die Zukunft ein weiterer, wichtiger Schritt gelungen. Mit der Einführung einer modernen Leittechnik-Softwarelösung als anpassungsfähiges Element einer flexiblen Systemarchitektur schafft das Unternehmen den Spagat zwischen den betrieblichen Möglichkeiten und den Erwartungen an Sicherheit, Pünktlichkeit und Informierung seiner Fahrgäste – auch in Zeiten umfassender Baumaßnahmen.

Mensch und Technik an der Grenze
In minimaler Zugfolgezeit von 90 Sekunden fahren heute die Züge des Regionalverkehrs Bern-Solothurn und transportieren täglich über 51.000 Fahrgäste – Tendenz steigend. Damit zählt das moderne Bus- und Bahn-Unternehmen zu den am stärksten frequentierten Privatbahnen in der Schweiz. Obwohl die Infrastruktur ursprünglich für weitaus weniger Fahrgäste ausgelegt wurde, gelang es dem RBS mit seinen rund 420 Mitarbeitern bis heute für eine hohe Pünktlichkeit der Züge und damit für eine hohe Zufriedenheit der Kunden zu sorgen. Um auch zukünftig an diesen hohen Qualitätsstandards festhalten zu können, begann das Unternehmen in den vergangenen Jahren sukzessive zahlreiche Streckenabschnitte auf Doppelspur auszubauen und das Rollmaterial zu erneuern - ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. So ist auch der viergleisige Kopfbahnhof Bern mit seinen zwei schmalen Mittelbahnsteigen und einem einseitigen Zugang längst an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. An Spitzentagen passieren über 60.000 Reisende den Bahnhof, der einmal für ca. 16.000 Fahrgäste täglich konzipierte wurde. Mit dem Ausbau des unterirdischen Bahnhofs, für den der Startschuss mit dem Spatenstich im Herbst 2017 auch ganz offiziell fallen soll, steht dem RBS ein weiteres Mammutbauprojekt bevor, dessen Fertigstellung für 2025 geplant ist.

Die Aufrüstung beziehungsweise Modernisierung der aus den 80er Jahren stammenden Leittechnik, welche als Steuerungswerkzeug der Prozesse im Bahnverkehr einen weiteren, zentralen Aspekt der Infrastruktur ausmacht, musste den übrigen Baumaßnahmen bislang hinten anstehen. Den wachsenden Anforderungen an Flexibilität und Belastbarkeit sind aber gerade auch die IT-Systeme und Abläufe in der Disposition in besonderem Maße ausgesetzt.

Bislang bestand die Leittechnik aus lokalen Relais-Stellwerken, die von der Leitstelle aus über eine elektromechanische Fernsteuerung bedient wurden. Dabei leisteten die Disponenten Beachtliches: Denn bei Abweichungen analysierten die Fachexperten die jeweiligen Situationen mithilfe einer Anzeige auf Drucktasten-Stelltischen und entschieden dann auf Basis ihrer großen Erfahrung und Kenntnis der Fahrpläne über die einzuleitenden Maßnahmen. Das betrifft beispielsweise das Verlegen von Kreuzungen, wenn Abwägungen hinsichtlich der Pünktlichkeit zweier sich kreuzender Züge getroffen werden müssen. Auch die Fahrstraße wurden per Hand gelegt. Die Grundbelastung der Fahrdienstleister war in einem immer höheren Verkehrsaufkommen enorm. [...]

Zeitschrift Signal+Draht